Empagliflozin
Unterschiedliche Krankheiten können mit demselben Wirkstoff behandelt werden, vorausgesetzt, die Zusammenhänge sind gründlich erforscht
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Mehr als 450 Millionen Menschen weltweit leben mit psychischen Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie. Doch während auf anderen medizinischen Feldern kontinuierlich Fortschritte erzielt werden, stagniert die Forschung am zentralen Nervensystem (ZNS) weitgehend. Boehringer Ingelheim ist angetreten, um das zu ändern. Präzisionspsychiatrie hat das Potenzial, die klinische Praxis grundlegend zu reformieren und vielen Millionen Menschen zu einer wirksamen Behandlung zu verhelfen.
Die ZNS-Forschungsteams bei Boehringer Ingelheim haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Dabei gilt folgende Maxime: Je besser das Verständnis über eine Krankheit und ihre Ursachen ist, desto wirksamer und gezielter lässt sie sich behandeln. Oder kurz: Erst die Erkenntnis, dann die Therapie.
In fast allen medizinischen Fachgebieten war dieses Leitprinzip in den letzten Jahrzehnten maßgeblich für den Fortschritt: Die Forscherinnen und Forscher erfuhren mehr über die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen einer Erkrankung – und einige Zeit danach entwickelten sie darauf aufbauend neue, gezieltere Behandlungsansätze. Dieses Prinzip führte auch dazu, dass die Wissenschaft viele Erkrankungen in zahlreiche Unterformen unterteilt, für die jeweils ein spezifischer, wirksamer Behandlungsansatz zur Verfügung steht.
Allerdings war in einem Fachgebiet von diesem Fortschritt kaum etwas zu spüren: „In der Psychiatrie tendiert man weiterhin dazu, die Diagnose nach den Symptomen zu erstellen und nicht nach ihren biologischen Hintergründen. Das ist im Grunde ein veralteter Ansatz – und es macht die Entwicklung von Therapeutika, mit denen man wirkungsvoll und gezielt behandeln kann, sehr schwierig“, sagt Dr. Hugh Marston, Forschungsleiter ZNS bei Boehringer Ingelheim. „Das wollen wir ändern.“ Mit dem „Wir“ meint Marston vor allem drei Teams bei Boehringer Ingelheim, die eng zusammenarbeiten: er selbst und sein Team von Discovery Research; Dr. Vikas Sharma, Leiter Medizin im Therapiegebiet ZNS, Retinopathien & Neue Therapiegebiete (TA CREA) und Dr. Joachim Scholpp, Leiter Translationsmedizin & Klinische Pharmakologie ZNS, Netzhauterkrankungen & Neue Therapiegebiete (TA CREA).
Bei der Entwicklung eines Medikaments müssen die Teams zunächst Grundlagenforschung leisten: Es geht darum, die biologischen Hintergründe für psychiatrische Auffälligkeiten zu entdecken und zu verstehen. „Im Gehirn gibt es eine unglaubliche Menge von funktionalen, neuronalen Schaltkreisen und bestimmte davon sind bei einzelnen Symptomen gestört. Erst wenn wir verstehen, welche Schaltkreise defekt sind und wie man das bei einer Person erkennt, können wir gezielt nach einem Wirkstoff suchen“, sagt Scholpp. Es geht darum, die Tür zu einer neuen Art von Psychiatrie zu öffnen, die in Anlehnung an den Begriff der Präzisionsmedizin als Präzisionspsychiatrie bezeichnet wird.
Mit diesem Ansatz haben die Forscherinnen und Forscher bei Boehringer Ingelheim bereits neun Wirkstoffe für psychiatrische Indikationen entdeckt. Manche haben bereits die vorklinische Entwicklung durchlaufen. Zum Beispiel der GlyT-1 Hemmer (BI 425809), der die Kognition bei Erwachsenen mit Schizophrenie verbessern soll. Die klinische Phase III hat im Sommer 2021 begonnen.
Ein weiteres gutes Beispiel für diese Pionierarbeit ist der Hemmer BI 1358894, der sich zurzeit in Phase II befindet. BI 1358894 konzentriert sich auf die Teile des Gehirns, die unsere Emotionen regulieren. „Wenn ich in der Fußgängerzone bin und links von mir einen lauten Knall höre, renne ich sofort in die entgegengesetzte Richtung“, erklärt Marston. „Alles andere wird heruntergefahren, die soziale Interaktion, die Verdauung – alles ist darauf ausgerichtet, aus der gefährlichen Situation zu entkommen.“
Allerdings reagiert jeder Mensch anders. Wenn die Grundlinie der Hirnaktivität zu hoch oder zu niedrig liegt, wird ein Triggerpunkt schneller als notwendig erreicht. Dann reagieren die Patientinnen und Patienten möglicherweise unangemessen auf alltägliche Herausforderungen. Mit Magnetresonanztomographie, kurz MRT, lässt sich feststellen, ob der neuronale Schaltkreis gestört ist. „Das äußert sich darin, dass der Patient seine Emotionen anders verarbeitet. Mit unserem Hemmer können wir möglicherweise das emotionale System wieder ins Gleichgewicht bringen“, erklärt Marston.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen können mit emotionaler Dysregulation zusammenhängen. „Wir führen deshalb bei allen drei Indikationen klinische Tests für BI 1358894 durch“, erklärt Scholpp.
Im Augenblick teilen wir psychiatrische Erkrankungen noch nach Symptomkomplexen ein – und nicht nach den zugrundeliegenden Störungen neuronaler Schaltkreise. Die Experten von Boehringer Ingelheim sind im Gespräch mit Entscheidern aus allen Bereichen des Gesundheitssystems, angefangen bei den für Leitlinien federführenden Medizinern über Krankenkassen bis hin zu Regulierungsbehörden. „Unser transdiagnostischer Ansatz kann wirklich innovative Medikamente entwickeln, die das Leben von Patientinnen und Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen verbessern“, sagt Scholpp.
Parallel dazu arbeiten Marston und seine Kolleginnen und Kollegen noch an einer anderen Herausforderung: Sie suchen nach Biomarkern, mit denen sich die Störungen in den jeweiligen Schaltkreisen einfach und kosteneffizient erkennen lassen. Denn: „Mit dem MRT können wir die gestörte Gehirnfunktion zwar wunderbar identifizieren. Nur wird es in der klinischen Routine unmöglich sein, bei jedem Patienten zur Diagnosestellung ein MRT durchzuführen. Das wäre zu teuer“, sagt Marston. Deshalb gilt es, zusätzliche Marker zu den MRT-Befunden zu finden, um die Störung in den neuronalen Schaltkreisen leichter zu identifizieren. Das können beispielsweise bestimmte Blutwerte sein, ein Fragebogen zur Impulsivität oder zukünftig vielleicht sogar eine digitale App.
Digitale Innovation birgt das Potenzial, neue Gesundheitslösungen für Patientinnen und Patienten und das Gesundheitssystem zu liefern. Das Feld der digitalen Gesundheit wächst rapide und auch die Akzeptanz bei Patienten, Ärzten und Krankenversicherungen wächst rasant. Neueste Studien zeigen, dass 84 Prozent der Menschen mit psychischer Erkrankung, die ein Smartphone besitzen, eine App herunterladen würden, die ihnen hilft.
Schizophrenie ist eine komplexe und facettenreiche Krankheit. Bei Menschen mit dieser Diagnose können verschiedene pharmakologische Medikamente für die Behandlung der psychotischen Symptome wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Verwirrung eingesetzt werden. Wenn jedoch andere Kernsymptome, wie kognitive Symptome, Anhedonie oder Interessens- und Motivationsverlust nicht behandelt werden, können Betroffene weiterhin funktionell beeinträchtigt sein.
Boehringer Ingelheim arbeitet an CT-155 mit, um einen wichtigen ungedeckten Bedarf in der Behandlung von Schizophrenie zu decken. Zusätzlich zu der medikamentösen Behandlung soll CT-155 den Patientinnen und Patienten eine ansprechende und zugängliche psychotherapeutische Intervention anbieten. Diese digitale Behandlung (englisch: Digital Therapeutics, kurz DTx), deren therapeutische Wirkung in klinischen Studien nachgewiesen wird, basiert auf der Wissenschaft der kognitiven Verhaltenstherapie und verbindet mehrere Interventionen, damit die Patientinnen und Patienten ihr Verhalten verändern und neue Fähigkeiten trainieren können.
Klicken Sie auf die schwarzen Icons, um die Funktionen von CT-155 zu entdecken.
Handlungsaufforderungen, die das tägliche Engagement mit CT-155 fördern, helfen Patientinnen und Patienten, erkennbare Fortschritte zu erzielen. CT-155 holt die Patienten dort ab, wo sie sich auf ihrem Weg befinden, und fördert positives Denken.
CT-155 konzentriert sich darauf, dass die betroffene Person die nötigen Fähigkeiten erlernt, aufbaut und nutzt, um alltägliche Situationen zu meistern, wie z. B. beim Umgang mit schwierigen Emotionen.
Dabei werden mehrere neurologische Verhaltenstechniken miteinander verknüpft, damit sich die Betroffenen Ziele setzen, die eine Teilnahme am Leben fördern, wie z. B. Freunde zu treffen.
Der bereits erreichte Fortschritt wird visuell dargestellt, was auch zeigt, dass das nächste Ziel in greifbarer Nähe liegt.
Der Fokus von Boehringer Ingelheim, die biologischen Mechanismen zu verstehen, die psychiatrischen Krankheiten zugrunde liegen, ist visionär, sagt Dr. Hugh Marston. Dieser Ansatz ist einer der Gründe, weshalb er 2020 ins Unternehmen gekommen ist.
Herr Marston, Sie arbeiten seit 1987 in der Psychiatrieforschung und kamen 2020 zu Boehringer Ingelheim. Warum haben Sie sich ausgerechnet für dieses Unternehmen entschieden?
Nun, ich war erst einmal froh, dass Boehringer Ingelheim sich auch für mich entschieden hat (lacht). Außerdem hat mich gereizt, dass ich durch das Engagement von Boehringer Ingelheim in diesem Bereich die Freiheit und die Mittel habe, um psychiatrische Grundlagenforschung zu betreiben und die Einstellung zur Psychiatrie zu verändern. Das Unternehmen hatte bereits die mutige Entscheidung getroffen, in der psychiatrischen Forschung zu bleiben, und mit einem Pool von Experten eine große Investition getätigt. Inzwischen befassen sich fast 50 Mitarbeitende mit der ZNS-Grundlagenforschung und der frühen Entdeckung von Arzneimitteln. Eine solch umfassende Forschungsabteilung mit so viel Expertise in diesem Bereich ist in der Pharmabranche leider selten geworden.
Woran liegt das?
Die Psychiatrie tritt seit Jahrzehnten auf der Stelle. Wir kennen noch immer die biologischen Hintergründe vieler Erkrankungen nicht. Die Patientinnen und Patienten allein anhand der Symptome einzustufen und eine Behandlung festzulegen, ist immer noch mehr Kunst als Wissenschaft. Nehmen Sie beispielsweise die Depression: Wer den Tod einer nahestehenden Person erlebt hat, kann eine depressive Phase haben. Man hat deshalb aber nicht gleich eine manifeste Depression, obwohl diese so beginnen kann. Es ist sehr schwierig, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann eine normale emotionale Reaktion zu einer abnormalen wird.
Das heißt, es müsste erst die Diagnose verbessert werden, um dann eine bessere Therapie zu entwickeln?
Ja, und dazu braucht es Geduld und Beharrlichkeit. Die akademische Forschung liefert wichtige Impulse, aber ihr fehlt die Unterstützung. Boehringer Ingelheim ist bereit, sich hier einzubringen. Wir arbeiten mit vielen Partnern zusammen, z. B. dem King’s College in London, wo wir die Schaltkreise im Gehirn sondieren, die mit Depression und Kognition in Verbindung stehen. Ich spüre bei uns eine Aufbruchsstimmung, die schon etwas ganz Besonderes ist.
Sie haben bereits einige Wirkstoffe in der klinischen Entwicklung.
Ja, ich habe von meinem Vorgänger eine faszinierende Pipeline übernommen. Es ist beispielsweise unglaublich aufregend, jetzt ein Programm zur Kognition bei Schizophrenie in die Phase-III-Entwicklung bringen zu können, das möglicherweise völlig neue Wege in diesem Bereich der Psychiatrie eröffnet. Zugleich ist es reizvoll, dass wir hier die psychiatrischen Krankheiten eben grundlegend neu vermessen und verstehen und uns immer mehr auf die Störungen der Schaltkreise im Gehirn konzentrieren.
Was ist Ihre Vision?
Ich glaube, die Generation meiner Enkelkinder wird einmal in einer Welt leben, in der man bei psychiatrischen Problemen recht schnell herausfindenkann, welcher neuronale Schaltkreis gestört ist, bevor dies zu massiven Einschränkungen im Leben führt. Mit diesen Informationen kann der Arzt oder die Ärztin dann die optimale Behandlung festlegen, die wahrscheinlich eine Kombination aus medikamentösen und digitalen Ansätzen sein wird.
Bei Yammie wurde mit 24 Jahren eine schizoaffektive Störung diagnostiziert — nach jahrelanger Suche. Heute führt sie ein selbstbestimmtes Leben. Durch ihre Erfahrungen weiß sie, dass es Hoffnung gibt. Aber auch, dass alles von einer korrekten und frühzeitigen Diagnose abhängt.
Ihre ersten Symptome erlebte Yammie bereits als kleines Kind. „Ich sah wunderschöne Farben und hörte, wie eine Stimme zu mir sprach“, erinnert sie sich. Als Teenager kamen bei Yammie Depressionen und Angst hinzu. Sie hörte drei Stimmen und die Psychose kontrollierte ihr Leben. „Ich war verzweifelt und habe sogar versucht, mich umzubringen.“ Sie suchte Psychologen auf, die viele unterschiedliche Diagnosen stellten. Erst im Alter von 24 Jahren wurde bei ihr eine schizoaffektive Störung erkannt. „Es war wirklich eine schwierige Reise.“
Ihr Arzt war nicht optimistisch, was die Zukunft von Yammie anbelangte. Er rechnete mit einer Verschlimmerung ihrer Symptome. Der Arzt prognostizierte, dass Yammie vermutlich keine Universität besuchen könne, sondern wahrscheinlich den Rest ihres Lebens im Krankenhaus verbringen würde.
Suche nach Unterstützung
Yammie aber weigerte sich, dieses Schicksal zu akzeptieren. Stattdessen begann sie zu kämpfen. Sie nahm an einem Kurs für Patientinnen und Patienten teil, in dem umfassendes Wissen über die Krankheit und deren Hintergrund vermittelt wurde. Dort traf Yammie auf Jurgen, einen Patienten mit Depressionen. Sie freundeten sich an und kämpften gemeinsam gegen ihre Dämonen. „Endlich mussten wir nicht so tun, als sei alles in Ordnung. Wir konnten ehrlich zueinander sein und verstanden, was der andere gerade durchmacht“, erklärt Yammie. Sie setzte ihre Therapie mit Jurgens Hilfe fort.
Inzwischen führt sie seit über vier Jahren ein selbstbestimmtes Leben. „Manchmal fällt es mir schwer, mich über Wasser zu halten – aber ich finde, ich gehe gut damit um und ich bin glücklich.“ Ohne eine korrekte Diagnose wäre das niemals möglich gewesen. „Für manche Menschen ist eine Diagnose ein Fluch, aber für andere auch eine echte Erleichterung. So war es für mich, denn ich wusste, dass meine Symptome einen Namen haben und behandelt werden können.“